Ringvorlesung „Das Dokumentarische II“ im Wintersemester 2018/19


Beiträge

Das Graduiertenkolleg veranstaltet im Wintersemester eine Ringvorlesung zum Thema „Das Dokumentarische II: Die Projekte“. Diese wird Donnerstags von 10 bis 12 Uhr im SSC (Raum 2/119) stattfinden.
Im Nachgang zu den Vorträgen werden diese untenstehend auch als Audiofile zur Verfügung gestellt.


Veranstaltungsinfo:

Die Ringvorlesungen des DFG-Graduiertenkollegs „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“ dienen der Präsentation von laufenden Forschungsarbeiten der Antragstellerinnen und Antragsteller, der Kollegiatinnen und Kollegiaten sowie der assoziierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegenüber der interessierten Hochschulöffentlichkeit. Zudem steht die Ringvorlesung Masterstudierenden der im Graduiertenkolleg vertretenen Fächer, d.h. der Medienwissenschaft, Germanistik, Komparatistik und Kunstgeschichte, offen. Aus jeweils fachspezifischer Perspektive führen die Vortragenden in die Theorie und Geschichte dokumentarischer Formen von der Entstehung technischer Analogmedien im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart digitaler Medienpraktiken ein.

Im Zentrum steht dabei die Frage nach den Operationen, die im Rahmen unterschiedlicher Institutionen und Praktiken auf je spezifische Weise bild-, text- und tonmediale Elemente arrangieren, um so die Lesbarkeit, den Aussagewert und die Machtwirkungen des Dokumentierten zu steuern. Im Wintersemester 2018/19 steht die Ringvorlesung unter dem Titel „Das Dokumentarische II: Die Projekte“ und wird von den Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs veranstaltet. In Tandemvorträgen stellen die beteiligten Doktorand_innen und Postdoktorand_innen Thesen und Zwischenergebnisse ihrer laufenden Dissertations- und Postdoc-Projekte zur Diskussion.

Folge der Ringvorlesung auch auf Twitter: @das_dok #rvdasdok


Programm der Vorlesung:


18.10.18 |
Leonie Zilch
Pornografie dokumentiert. Pornhub und seine Nutzer*innen

Vortrags-Abstract

Pornhub ist die weltweit am häufigsten besuchte Pornowebsite und namensgebend für das größte pornografische Netzwerk. Thema des Vortrags ist einerseits die exzessive Selbstdokumentation (und kontrollierte Selbstinszenierung) Pornhubs, andererseits die Frage, welche Sexualitäten und Körper durch die Struktur und Oberfläche der Plattform dokumentiert und damit auch produziert werden, welche unsichtbar bleiben und welche alternativen Räume der Sichtbarmachung sich dennoch eröffnen.

Esra Canpalat
Die wahren Besitzer*innen des Landes: Dschinns als liminale Dokumentarist*innen in Elif Şafaks
The Bastard of Istanbul

Vortrags-Abstract

Dschinns sind unbeständige, unsichtbare und wechselhafte Wesen, die sich in Schwellen aufhalten. Der Glaube an die Existenz von Dschinns, die aus rauchlosem Feuer kreiert wurden und einen freien Willen besitzen, ist in der islamischen Kultur weit verbreitet und wird auch im Koran affirmiert, beispielsweise in der Sure Al-Dschinn.

In den Romanen der zeitgenössischen türkischen Autorin Elif Şafak taucht die Figur des Dschinns vielfach auf, beispielsweise in dem viel beachteten und kontrovers diskutierten Roman The Bastard of Istanbul (2006), der von dem miteinander verbundenen Schicksal einer türkischen und armenischen Familie handelt. Dschinns agieren hier als Nacherzähler*innen und Chronist*innen des Leides, als sogenannte „liminal historians“ (Gürel 2009, 195), und zeigen die Grenzen menschlicher Erinnerung und Historiografie auf.

Der Vortrag soll beleuchten, wie der Einsatz von Dschinn-Figuren in Şafaks Roman sowohl als Kritik an der nationalistischen Historiografie fungiert, als auch eine alternative Form der Vergangenheitsrekonstruktion aufzeigt.


15.11.18 |
Sarah Horn
Auf Testo, auf YouTube – Hormonupdates in trans* Vlogs

Vortrags-Abstract

Viele vor allem jüngere trans* Personen dokumentieren ihre geschlechtliche Transition in Videoblogs (Vlogs) auf YouTube. Von besonderer Bedeutung ist für sie in diesem Zusammenhang der Beginn der Hormontherapie, im Fall von sich (eher) männlich identifizierenden Vloggern dem Hormon Testosteron. In sogenannten Update-Videos berichten die Vlogger von körperlichen und emotionalen Veränderungen seit Beginn der Einnahme.

Während einzelne Studien zu solchen Update-Videos von trans* Vloggern vor allem den selbstbestimmten Einsatz der visuellen wie hormonellen Praktiken – der Einnahme wie der Aufnahme – betont haben, schlage ich eine Erweiterung dieser Perspektive vor: Nehmen wir ernst, dass Geschlecht und Medien in reziproken Verhältnissen zueinander stehen und sich gegenseitig hervorbringen, gilt es neu zu untersuchen, in welches Verhältnis das vergeschlechtlichte Selbst, der Vlog und das Testosteron in diesen Update-Videos treten.

Robert Dörre
UNFASSBAR! Heute 30 CP geschenkt :-)! Clickbait als rezeptionsästhetische Strategie

Vortrags-Abstract

Unter dem Begriff Clickbait firmieren verschiedenste Anreizstrategien im Bereich des Online-Journalismus und der sozialen Medien. Titel und Titelbilder werden – so der häufige Vorwurf – in täuschender Absicht dazu verwendet, Erwartungshaltungen aufzubauen, die durch den eigentlichen Artikel, das Foto oder Video nicht eingelöst werden. Clickbait wäre in diesem Sinne ein Mittel, um eine Neugier-Lücke bei den Rezipient_innen zu provozieren und mit dem Versprechen diese Lücke schließen zu können, einen nicht vorhandenen Rezeptionswert inszeniert.

Der Vortrag möchte versuchen eine tentative Taxonomie dieser durchaus heterogenen Anreizstrategien vorzuschlagen und zeigen, dass Clickbait nicht per se eine Taktik der Täuschung ist, sondern häufig auch darauf setzt, als Strategie durchschaubar bleiben und damit vielleicht auch einen zusätzlichen Rezeptionswert zu generieren vermag, der auf spielerische Aneignungen des Materials baut. Nicht zuletzt zeugen parodistische Internetmemes oder satirische Clickbait-Videos von einer Medienkompetenz der Rezipient_innen, die mit solchen Strategien durchaus vertraut sind und sich nicht von jeder noch so hanebüchenen Überschrift täuschen lassen.


29.11.18 |
Katja Grashöfer
Wikipedia. Dokumentarische Operationen

Vortrags-Abstract

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist binnen weniger Jahre zum populärsten und umfangreichsten Nachschlagewerk im Netz geworden. Von ihren enzyklopädischen Vorgängerinnen unterscheidet sie sich in wesentlichen Punkten, allem voran einem veränderten Autorschaftskonzept.

Mittlerweile besteht dieses veränderte Autorschaftskonzept nicht mehr nur darin, dass jede thematisch interessierte und mit den technischen Voraussetzungen vertraute Person Artikel verfassen und bearbeiten kann. Kollektive Autorschaft in der Wikipedia meint virtuelle Autorschaft in einem umfassenderen Sinn: als gemeinsame Arbeit menschlicher und automatisierter Benutzer*innen. Welche Bedeutung haben Bots für das Projekt ‚Wikipedia’? Welche Aufgaben übernehmen sie? Und in welchem Verhältnis stehen menschliche und automatisierte Benutzer*innen?

Robin Schrade
Wer sucht, der kann gefunden werden. Kulturhistorische Probleme der Wissensorganisation

Vortrags-Abstract

Das komfortable digitale Finden im weltweiten Netz sorgt gegenwärtig für Debatten, die die Selbstbestimmung des Einzelnen betreffen. Historisch beispiellos erscheint dabei häufig die Funktion von Web-Suchmaschinen, Informationen über die Suchenden sowie deren Anfragen automatisch zu speichern und auszuwerten. Auf diese Weise wird die Suche zu einer Falle, die Sichtbarkeit erzeugt und Aufmerksamkeit auf Individuen lenkt. Wer sucht, kann gefunden werden.

In dem Vortrag soll es jedoch insbesondere darum gehen, weitere Probleme aufzuzeigen, die gegenwärtig das Suchen und Finden im weltweiten Netz begleiten und die es, im Rahmen meiner Dissertation, historisch zurückzuverfolgen gilt. Exemplarisch wird hierzu die aktuelle Publikation „Algorithms of Oppression. How Search Engines Reinforce Racism” von Safiya Umoja Noble (New York, 2018) vorgestellt und diskutiert. Ausgehend von Nobles Analysen soll gezeigt werden, dass Suchmaschinen ihre Nutzerinnen und Nutzer nicht nur auffindbar machen, sondern zugleich denunzieren, ausgrenzen, unterdrücken können. Denn wer sucht, macht sich, so die These des Vortrags, auf vielfältige Weise angreifbar und verletzbar.


13.12.18 |
Pia Goebel
Crossings. Über Emily Jacirs »documentary approach«

Vortrags-Abstract

Das vielschichtige Œuvre der renommierten US-amerikanisch-palästinensischen Künstlerin Emily Jacir steht im Fokus des Vortrags, der die „Performanz der Grenze“ als „wesentliche[n] Bestandteil des Biographischen“ im Œuvre der „mobilen Exilantin“ Jacir (Christian Kravagna) verdeutlichen möchte. Auf frühe Arbeiten der Künstlerin, die „die konzeptuelle Prägung von Jacirs Werk“  (Annette Urban) veranschaulichen wird dabei ebenso eingegangen wie auf die dezidiert nicht a priori als ‚conceptual piece’ konzipierte Zweikanalvideoinstallation Crossing Surda (a record of going to and from work) aus dem Jahr 2002, deren Bildmaterial sich der dokumentarischen Operation der klandestinen Aufnahme verdankt.

Lena Holbein
Fotografisches Archivieren im Zeichen des Dokumentarischen.Vom bilddokumentarischen zum künstlerischen Archivieren

Vortrags-Abstract

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts dienten Fotografien dazu, das vermeintlich Fremde und Andere zu klassifizieren. Gleichzeitig erforderten die wachsenden Sammlungen an fotografischen Bildern eine systematische Gliederung, damit ein Bild in der Menge auffindbar war. Während das Klassifizieren von sowie mit Fotografien im vordigitalen Zeitalter gleichsam reduzierend mit Blick auf den Bildgegenstand erfolgte und an Autoritäten wie Wissenschaft und Archiv geknüpft war, ist das Klassifizieren in der digitalen Kultur gleichsam dynamischer und konstituiert sich häufig als geteilte Handlung. Praktiken wie Aneignung und Bewertung bzw. Hierarchisierung, die strukturell mit einem fotografischen Klassifizieren verbunden sind, behaupten dabei weiterhin Relevanz, wenngleich sie sich grundlegend gewandelt haben und gegenwärtig in den Sharing- und Ranking-Buttons technisch implementiert sind.

Werden klassifizierende konkret typologisierende Verfahren innerhalb einer fotografischen Praxis aufgerufen, geschieht dies einerseits affirmativ und wissensgenerierend mit Blick auf den abgebildeten Gegenstand, andererseits rückt das Klassifizieren selbst in den Blick, wird modifiziert und reflektiert. Ausgehend davon, dass fotografische und klassifizierende Praktiken strategisch miteinander verknüpft sind, nimmt der Vortrag das fotografische Klassifizieren als künstlerische Praxis exemplarisch in den Blick. Die Bildtypologien, die der Bildersammler Joachim Schmid aus im Netz ‚vorgefundenen‘ Bildern generiert, rufen ein reduktives, normatives Klassifizieren auf, das zugleich dynamisch ist und mitunter heterogene Bildgruppen ausbildet. Die Ordnungen, mit denen er Flickr-Bilder nach visuellen Ähnlichkeiten im Medium des Buches arrangiert, suggerieren einen wissenschaftlichen Charakter und stellen zugleich die genuine Konstruiertheit von Klassifikationen aus.


10.01.19 |
Cecilia Preiß
Mit allen Sinnen. Multimodalität in aktueller Medienkunst

Vortrags-Abstract

Die zeitgenössische Kunst löst sich vom Objekt und wandert auf den Rezipient*innen-Körper. So hält der museale Raum vermehrt Interfaces bereit, die virtuelle Erfahrungsräume eröffnen, welche im Rahmen der Kunsterfahrung individuell, interaktiv und mit allen Sinnen erschlossen werden.

Damit stellen sich zugleich Fragen an jene Trias, die die Institution Museum einst definierten: wie kann gesammelt, wiederholt ausgestellt und bewahrt werden, was sich nicht materialisiert und isoliert sinnlich rezipiert wird? Was passiert, wenn der/ die Betrachter*in zum/ zur Benutzer*in wird? Welchen Einfluss nimmt dies auf die Weisen künstlerischen Arbeitens?

Der Vortrag will sich diesen Fragen über eine Analyse der diversen Verwendungsweisen sensibler und sensorischer Sensor-Technologien und Interfacedesigns einer Human-Computer-Interaction im musealen Kontext annähern.

Maren Haffke
Umwelt aufnehmen – Field Recordings und akustische Dokumentation


17.01.19 |
Tabea Braun
Küstenlandschaften auf Papier – ›Research Architecture‹ im Kontext der Verzeichnung von Land und Meer um 1800

Vortrags-Abstract

Um 1800 stapeln sich in den staatlichen hydrografischen Büros Europas die Papierberge. Die Vermessung der Meere und Küsten schreitet rasch voran. Man trägt möglichst umfängliche und präzise Informationen zusammen und bemüht sich zugleich um die Trennung unzureichender oder falscher von evidenzbasierten und reliablen Fakten. 

Im Schatten der Seekarten – den primären hydrografischen Medien dieser Zeit – werden dabei in großem Umfang auch Ansichten von Küsten gezeichnet und gesammelt. Die Urheber dieser topographischen Dokumente sind Marineoffiziere, Künstler oder zivile Reisende, die in ihren panoramatischen, interreferenziellen und kommentargesättigten Bildern ganze Küstenzüge und Landschaften modellieren.

In ihnen kommt ein höchst ambitioniertes und gewissermaßen modernes Anliegen zum Ausdruck: den geografischen Raum medial zu simulieren. Damit verweisen sie auf ähnliche Projekte der folgenden Jahrhunderte: etwa auf die Panoramen des 19. Jahrhunderts, Google Earth oder auch Research Architecture – ein aktuelles künstlerisches Programm, das dem Bildmaterial als Referenz- und Reibungspunkt dienen wird.

Matthias Preuss
Vom Beifang zum Dokument.Wie zum Beispiel ein Meeresbiologe ein Gutachten erstellt

Vortrags-Abstract

In diesem Vortrag geht es um einen Ausschnitt aus der Geschichte (proto)ökologischen Wissens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Im August 1869 bewegt die sinkende Produktivität von Mollusken den sonst vorwiegend terrestrisch lebenden Meeresbiologen Karl August Möbius (1825-1908) dazu, das Festland zu verlassen und die Austernbänke im schleswig-holsteinischen Wattenmeer zu erforschen.Die Ergebnisse dieser Studie publiziert er 1877 in der Mahnschrift Die Auster und die Austernwirthschaft.

Die Untersuchungen, die er als Regierungskommissar auf Weisung des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten durchführt, zielen darauf ab, das Steigerungspotential der biologischen Produktivität der ‚deutschen‘ Meere auszuloten. Nebenbei entdeckt Möbius dabei das biozönotische Gleichgewicht.

Drei Aspekte werden im Vortrag anhand dieses Beispiels genauer unter die Lupe genommen: (1) die in Form eines wissenschaftlichen Gutachtens zur Geltung kommenden evidentiellen Strategien, (2) der Zusammenhang zwischen dem interdiskursiv und infrastrukturell vernetzten epistemische Raum und der Figuration von Wissen, und (3) die Medialität der untersuchten Schalentiere, die sich als Katalysatoren dokumentarischer Operationen herausstellen.


24.01.19 |
Felix Hüttemann
Smart Home mit Schildkröte. Medienästhetik des Dandyismus

Vortrags-Abstract

Dandyismus ist keine bloße Ideologie distinktionsbewusster Subjekte mit Schildkröten, Einstecktüchern und Maßanzügen, sondern ein bis heute virulentes Gefüge aus Ästhetik und Technik, das sich über räumliche Arrangements und als „Geste für zukünftige Anordnungen“ verstehen lässt. Dieses Gefüge lässt umgebungstechnologische Fragen des 21. Jahrhunderts unter medienästhetischem Blickwinkel beleuchten, insofern sich Fragen dandyistischer Ästhetik des 19. Jahrhunderts auf diejenigen Fragen des 21. Jahrhunderts erkenntniserweiternd applizieren lassen.

Niklas Kammermeier
Täterauftritte im Dokumentarfilm

Vortrags-Abstract

Auftritte sind umkämpfte Schauplätze, auf welchen Bedingungen und Zukünfte menschlichen Erscheinens verhandelt werden. Im Auftritt formieren sich Subjekte im setzungsmächtigen Schritt aus unsichtbaren Hintergründen in sichtbare Vordergründe. Das Begehren nach Anerkennung und Souveränität wird dabei von konventionalisierten Skripten, sogen. „Auftrittsprotokollen“ (Juliane Vogel) reguliert und beschränkt.

Der Vortrag möchte eine Kernthese des Dissertationsprojektes „Täterauftritte im Dokumentarfilm“ anschaulich machen: Dort wo Menschen sichtbar werden, welche Gewalt- bzw. Straftaten begangen haben, werden die Bedingungen des Sichtbar-werdens auf besondere Weise relevant. Zeigen lässt sich dies anhand von dokumentarischen Bewegtbildern, welche das Ankommen von Tätern vor einem Publikum inszenieren.