Tilman Richter, M.A.

 

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Titel der Dissertation

Unterschreiben. Zur Signatur von Individualität in der Moderne. (Arbeitstitel)


Projektbeschreibung

Nicht nur im juristischen Kontext gilt: die Unterschrift macht aus Aufzeichnungen Dokumente. Sie schließt ein Dokument ab und erklärt dessen Form für gültig. Sie vollzieht Autorisierung. Für diesen Akt müssen Unterschreibende einstehen können. Mittels ihrer höchstpersönlichen, verkörperlichten Unverwechselbarkeit binden sie sich an das Unterschriebene, das dadurch nicht nur ihre materielle Anwesenheit, sondern gerade auch ihren Willen und ihre Fähigkeit zur Autorisierung dokumentiert. Die Unterschrift steht damit als Spur, das Unterschreiben als Praxis an der Schnittstelle von Medien und Individualität. Das unterzeichnende Subjekt geht der Unterzeichnung nicht voraus, der Akt des Unterschreibens transformiert Objekt wie Subjekt gleichermaßen. In diesem Sinne ist jede Unterschrift ein Akt des sich (etwas) Einschreibens.

Das Promotionsvorhaben formuliert die These, dass die Praxis des Unterschreibens am Kreuzungspunkt von juristischen und bürokratischen Ordnungen, Diskursen und Praktiken der Erziehung und Medien der Schrift exemplarisch aufzeigt, wie Kulturtechniken mitwirken an der Inklusion jeder Einzelnen in die soziale Ordnung der Moderne. Indem die allgemeine Verbreitung der Unterschrift zum Zwecke der Autorisierung von Dokumenten insbesondere zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert eine Herrschaftsgeste zu einem Bestandteil des täglichen Lebens großer Teile der Bevölkerung macht, vollzieht sie besonders deutlich eine Tendenz, die sich kulturhistorisch als paradigmatisch für die europäischen Staaten am Übergang zur Moderne erweist: Die Disziplinierung der Gesellschaft „spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine ‚Fähigkeit’, eine ‚Tauglichkeit’, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um.“ (Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übersetzt v. Walter Seitter, Frankfurt a. M. 1976, S. 177.) Wer unterschreiben kann und darf, verfügt über die souveräne Macht, den eigenen Willen zu dokumentieren und gültig zu machen, unterwirft sich aber gleichzeitig dem Zwang, sich zu identifizieren, seine Identität an Dokumente zu binden, sich auffindbar zu machen und die eigene Person zu einer über die Zeit beständigen Einheit zu formen.

Verdankt sich der Bedeutungsgewinn des Unterschreibens der Verbreitung von Schrift und Schriftlichkeit in der Neuzeit, so stellt der nachfolgende Medienwandel, insbesondere der Zuwachs an Möglichkeiten der technischen Reproduktion von Daten diese Bedeutung zunehmend in Frage. Vor diesem Hintergrund führt gegenwärtig vor allem die Digitalisierung von Daten und deren Austausch zu einem deutlichen Bedarf nach Funktionsäquivalenten der Unterschrift. Deren Leistung, körperliche Unverwechselbarkeit mit materiell verhältnismäßig beständigen Medien kurzzuschließen, erscheint bisher nicht verlustfrei reproduzierbar. Angesichts dessen verteilen sich die Funktionen der Unterschrift auf eine Vielzahl von Technologien wie RFID-Chips, PIN-Codes und die Erfassung biometrischer Daten. Dieser Prozess einer medialen funktionalen Differenzierung stellt nachdrücklich die Frage, welche Formen diese Technologien den in ihr dokumentierten Unverwechselbarkeiten einprägen und ob diese überhaupt noch sinnvoll als Subjektivitäten oder Individuen zu beschreiben sind.

Das Promotionsprojekt versucht anhand von vielfältigen Materialien – bürokratischen Vorschriften, literarischen Beschreibungen, filmischen und fotografischen Darstellungen und humanwissenschaftlichen Untersuchungen – die Etablierung wie den historischen Wandel der engen Verbindung nachzuzeichnen, die das Konzept von Individualität mit deren Dokumentation im Akt des Unterschreibens eingeht. Es will die Frage beantworten, wie in der Szene des Unterschreibens in der Moderne Techniken, Körper und Diskurse zur Verteilung von Handlungsmacht und Souveränität mobilisiert werden.


Wissenschaftlicher Werdegang

  • Seit Oktober 2019: Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Promotion) am DFG-Graduiertenkolleg „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“, Ruhr-Universität Bochum
  • 10/2015 bis 11/2018: Masterstudium „Kulturwissenschaft“, Humboldt-Universität zu Berlin
  • 04/2015 bis 09/2015: Masterstudium „Geschichte und Kultur der Wissenschaft und Technik“, Technische Universität Berlin
  • 10/2009 bis 04/2015: Bachelorstudium „Philosophie, Kulturreflexion und kulturelle Praxis“, Universität Witten/Herdecke

Lehrveranstaltungen

  • Wintersemester 2018/19: Seminar „Die Idee der Universität“, mit Caspar-Fridolin Lorenz, Fakultät für Kulturreflexion, Universität Witten/Herdecke
  • Sommersemester 2016: Seminar „Sozialfiguren der Kapitalisierung“ mit Caspar-Fridolin Lorenz, Kultur-, Sozial und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin
  • Wintersemester 2013/14: Seminar „Körper und Technik”, mit Christian Grüny, Fakultät für Kulturreflexion, Universität Witten/Herdecke

Vorträge

  • „The Forging of One’s Self. Practicing Signatures, Practicing Individuality“, gehalten im Rahmen des Online-Symposiums „Practices of Privacy. Knowledge in the Making“, April/Mai 2020, Centre for Privacy Studies, University of Copenhagen
  • „Unterschreiben/Überschreiben“, mit Caspar-Fridolin Lorenz, gehalten im Rahmen des Workshops „Mitschriften. Formate universitärer Kritik“, 27.11.-01.12.2017, Gut Siggen
  • „Flexible Buchführung. Die Bohème als Milieu prekärer Individualisierung“, mit Caspar-Fridolin Lorenz, gehalten am 14.09.2017 im Rahmen des 6. Studentischen Soziologiekongresses „Alle(s) in Bewegung“ an der Universität Chemnitz
  • „Tanz und das Technische des Körpers”, gehalten am 19.02.2015 im Rahmen des IX. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik an der Universität Hamburg

Organisation von Veranstaltungen

  • Organisation des studentischen Symposiums „Hochstapelei und Unternehmung. Individualisierung in ökonomischen Kontexten“, mit Caspar-Fridolin Lorenz, 07./08.04.2017 an der Humboldt-Universität zu Berlin

Sonstiges

  • Rezensionen und journalistische Texte u.a. für Zeit online, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Merkur und Merkur-Blog