Ringvorlesung „Das Dokumentarische VI“ im WiSe 2024/25

Das Graduiertenkolleg veranstaltet im Wintersemester seine nunmehr sechste Ringvorlesung. Diese wird insgesamt sechsmal donnerstags von 10 bis 12 Uhr in den Räumlichkeiten der Universitätsstraße 105 in Raum Uni 105, EG 0/14 stattfinden. Weitere Informationen zu den einzelnen Vorträgen finden sich untenstehend.

Veranstaltungsinfo

Das an der Ruhr-Universität Bochum angesiedelte DFG-Graduiertenkolleg „Das Dokumenatsrische. Exzess und Entzug“ behandelt – seit seinem Bestehen im Jahr 2016 – das Dokumentarische als eine zentrale Komponente zeitgenössischer Medienkulturen. In der zweiten Förderphase des Kollegs, die im April 2021 gestartet ist, wird insbesondere ein Konzept des Dokumentwerdens entfaltet.

Die interdisziplinären Forschungsarbeiten des Kollegs aus den Bereichen Medienwissenschaft, Theaterwissenschaft, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte lassen sich dabei alle von der These leiten, dass die spezifische Autorität des Dokumentarischen durch die Untersuchung der Operationen beschreibbar wird, die im Rahmen unterschiedlicher Institutionen und Praktiken auf je spezifische Weise bild-, text- und tonmediale Elemente so arrangieren, dass diese die Lesbarkeit, den Aussagewert, die Distributionslogiken und die Machtwirkungen des Dokumentierten steuern. Entgegen einer einflussreichen Theorietradition beschränkt das Forschungsprogramm seine Perspektive in diesem Sinne explizit nicht auf den visuellen Modus des Dokumentarischen und privilegiert auch nicht ein bestimmtes (etwa filmisches) Medium. In den Forschungsprojekten stehen vielmehr höchst diverse Gegenstände im Fokus, die in wechselseitige Beglaubigungsverhältnisse eintreten können, um einen dokumentarischen Effekt zu produzieren.

Die nunmehr sechste Ringvorlesung des Kollegs soll erneut dazu dienen, zentrale Forschungsergebnisse zu präsentieren und darüber mit Hochschulangehörigen aus allen Fachrichtungen ins Gespräch zu kommen. Neben den Doktorand_innen der mittlerweile dritten Generation, kommen hier auch die aktuellen Post-Doktorand_innen sowie die am Kolleg beteiligten Professor_innen zu Wort. Zudem wird viel Zeit für gemeinsame Diskussionen eingeplant, an denen sich alle Anwesenden beteiligen können.

Studierende haben die Möglichkeit, einen (unbenoteten) Teilnahmeschein zu erwerben. Neben der regelmäßigen Anwesenheit und Diskussionsbereitschaft sollen für die erfolgreiche Teilnahme vier kurze „Dokumentationskarten“ verfasst werden (jeweils 1-2 Seiten, gerne gebündelt als PDF per E-Mail an das-dokumentarische@rub.de bis spätestens zum 31. März 2025). Auf diesen „Dokumentationskarten“ sollen jeweils ein Vortrag pointiert zusammengefasst und zudem zwei bis drei weiterführende Fragen formuliert werden. Master-Studierende müssen zudem zusätzlich noch ein ca. fünfseitiges Essay einreichen (ebenfalls per E-Mail), in dem einer der dokumentierten Vorträge sowie die daran anschließende Diskussion ausführlicher dargestellt und die Thematik eigenständig weitergedacht wird.

Die Veranstaltung soll als reine Präsenz-Veranstaltung im dem Gebäude Universitätsstraße 105 (Raum EG014) stattfinden, in dem auch das Kolleg angesiedelt ist. Das Gebäude liegt auf halbem Weg zwischen den U35-Haltestellen „Oskar-Hoffman-Str“ und „Waldring“.

17.10.2024

Chisa Tanimoto

Selbstregulierung und Wortspiel. Zum Dokumentarischen in der Literatur nach Fukushima am Beispiel Yoko Tawada, Sendbo-o-te (2018, im Orig. japanisch: 献灯使 kentôshi, 2014)

In ihrem Roman Sendbo-o-te hinterfragt die in Berlin lebende japanische Schriftstellerin Yoko Tawada die nach der Dreifachkatastrophe (Erdbeben, Tsunami sowie das Super-GAU von Fukushima) im Jahr 2011 zu beobachtende Tendenz zur sprachlichen Selbstregulierung in der japanischen Gesellschaft. Der Roman legt seinen Fokus auf die Menschen und ihre Lebensumstände in einem fiktiven Japan, das nach einem großen Atomunfall von der Außenwelt abgekoppelt und durch eine signifikante Umweltverseuchung sowie anonyme Überwachung gekennzeichnet ist. Die Art und Weise, wie die Protagonist*innen „in selbstgewählter Reserve“ leben, um in dieser Welt zu überleben, wird von Tawada mit Wortschöpfungen und Wortspielen beschrieben, die stark von den sprachlichen Eigenheiten des Japanischen abhängen und eine deutsche Übersetzung nur bedingt vermitteln kann. Der Roman persifliert somit den in der realen japanischen Gesellschaft nach der Katastrophe erhobenen Anspruch, es sei besser zu schweigen, statt mit unpassender oder überflüssiger Äußerung andere zu verletzen. Gleichzeitig demonstriert der Roman, wie Einschränkungen Anlass für die Generierung neuer sprachlicher Ausdrucksformen geben und dadurch vorgegebene Denkmuster und einseitige Sichtweisen durchbrechen können.

Katharina Krol

Dokumentation gewaltvoller Ereignisse in den Theaterarbeiten von Giuvlipen

Sinti und Roma waren und sind seit Jahrhunderten betroffen von Gewalt, Unterdrückung und Vernichtung, die zum Beispiel in der Versklavung von Sinti und Roma zwischen dem 13./14. Jahrhundert und 1856 in Gebieten des heutigen Rumäniens oder der Ermordung von rund 500.000 Menschen während des Nationalsozialismus zum Ausdruck kommen. Die Geschichten dieser Gewalt wurden in der Historiografie nicht vollständig oder nur aus der Perspektive der Täter dokumentiert. Betroffene erscheinen in diesen Dokumenten nahezu ausschließlich als Opfer von Gewalt oder als ‚Objekt‘ gewaltvoller Fremdzuschreibungen. Alternativen dazu zu entwickeln ist nicht einfach, für Betroffene über das Erlebte, strukturelle und genozidale Gewalt zu sprechen, ist manchmal fast unmöglich – so drohen wichtige Perspektiven auf die (Gewalt-)Geschichte aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden. Insbesondere zeitgenössische Sinti und Roma-Theatermacher:innen wenden sich diesen Ereignissen und damit verbundenen Geschichten wieder zu. Dabei streben sie nicht nur die Dokumentation des vorher nicht oder nicht ausreichend Dokumentierten aus der Perspektive der Betroffenen an, und hinterfragen somit archivarische Praktiken, sondern sie zielen auch darauf ab, durch die Aufarbeitung der Ereignisse das kollektive Bewusstsein von Sinti und Roma zu stärken. Wie sich das in Theaterstücken narrativ und ästhetisch zeigt, will die Vorlesung anhand von Beispielen des rumänischen Theaterkollektivs Giuvlipen aufzeigen.