Lena Holbein, M.A.

 (Associated Member 03/2018-12/2019)

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Titel der Dissertation

Das Archiv als Praxis der Evidenz- und Bedeutungsproduktion in der zeitgenössischen Kunst. Über Archivalische Verfahren im Umgang mit angeeigneten Fotografien


Projektbeschreibung

Vom Archiv geht eine besondere Faszination aus – So proklamiert Hal Foster die internationale Gegenwartskunst vom „Archival Impulse“ (2004) durchzogen, und schließt daraus auf eine eigene Tendenz. Das Archivalische der Kunst zeige sich in der Aneignung von Bestehendem, mitunter konkretem Archiv-Material, als auch Präsentationsweisen, die das Archiv zitieren. Andererseits bestimmen Praxen des Archivs künstlerische Verfahren, denen Aneignungspraxen fremder Fotografien vorausgehen. Weisen des archivalischen Ordnens, Klassifizierens und Zeigens werden zitiert, umgeformt und hinterfragt. Beispielhaft für die Koinzidenz fotografischer Bildaneignung und einer archivalischen Praxis stehen ausgewählte Werke von Larry Sultan/Mike Mandel, Joachim Schmid und Peter Piller, die den Gegenstand des Promotionsprojektes bilden. 1977 zeigen Larry Sultan und Mike Mandel unter dem Titel „Evidence“ eine Auswahl an Fotografien, die sie im Zuge einer zweijährigen Recherche in Bildarchiven US-amerikanischer Institutionen angeeignet haben, in Gestalt eines Buchs und einer Ausstellung. ‚Evidence‘ ist auch eine der Kategorien, unter denen Joachim Schmid Fotos, die er sich im Netz aneignet, klassifiziert. Das Fotobuch Other People’s Photographs (2008-11) präsentiert eine Auswahl der Bilder nach Kategorien geordnet. Peter Piller hingegen zeigt unter dem Titel „Archiv Peter Piller nimmt Schaden“ (2007) Farbfotos, die aus dem Bildarchiv eines Schweizer Versicherungsunternehmens stammen.

Neben der Praxis der fotografischen Bildaneignung verbindet die drei zu untersuchenden Positionen eine Bezugnahme auf den Evidenzanspruch des fotografischen Bildes. Das Beweispotential der fotografischen Bilder wird in den kommentarlosen Bildarrangements als falsches Versprechen entlarvt. Vielmehr wird die der Fotografie von Beginn an zugesprochene beweisende Macht als Effekt fotografischer Gebrauchsweisen offenbar. Vor diesem Hintergrund, so meine Hypothese, scheint in der Koinzidenz von fotografischer Bildaneignung und der Aneignung archivalischer Praxen ein reflexives Potential mit Blick auf das Medium Fotografie begründet. Das Dissertationsprojekt verfolgt das Ziel, der Verknüpfung von fotografiereflexiven Momenten und archivalischen Praxen als einem strategischen Verfahren innerhalb einer zeitgenössischen Praxis, die fremde Fotografien aneignet, nach zu gehen.

Die Annahme, dass die Verschränkung von fotografischer Bildaneignung und archivalischen Verfahren weniger als Kontingenz, denn als Folge einer strukturellen Analogie von Archiv und Fotografie zu begreifen ist, bildet den Ausgangspunkt meiner Untersuchung. Als archiviertem und archivierendem Objekt zugleich kommt der Fotografie eine besondere Verbindung mit dem Archiv zu, die zum Ausgangspunkt für eine kritische Befragung der aus dieser Verknüpfung resultierenden Wahrheitsansprüche an das fotografische Bild wird. So scheint gerade in einer künstlerisch-archivalischen Auseinandersetzung mit fotografischem Material die Möglichkeit gegeben, den mächtigen Einfluss des Archivs auf die in ihnen gelagerten Fotografien offenzulegen und als Modell von Wahrheits- und Wirklichkeitserzeugung zu entlarven, dessen Mechanismen auf das fotografische Bild zurückwirken.

Das vorliegende Promotionsprojekt leistet eine exemplarische Untersuchung der skizzierten künstlerischen Strategie unter Berücksichtigung der Relevanz des Archivs als bedeutsame Referenz für die Kunstproduktion seit den 1970er Jahren und vor dem Hintergrund des anhaltenden Archiv-Diskurses im Zeitalter des Digitalen. Meiner Arbeit liegt eine Dynamisie-rung des Archivbegriffs zugrunde, der – als kulturelle Praxis begriffen – transferiert wird mit Blick auf eine archivalisch-künstlerische Praxis, in der archivische Mechanismen und Prinzipien strategisch unterlaufen werden. Bei der Betrachtung rückt gleichfalls das dokumentarische Potential fotografischer Verfahren in den Blick, das dem Medium Fotografie ob seiner ver-meintlich ‚mechanischen Objektivität‘ von Beginn an zugeschrieben wurde; innerhalb eines künstlerischen Transfers der archivalischen Praktiken werden diese u.a. als Effekte des Doku-mentarischen erfahrbar.


Wissenschaftlicher Werdegang

  • Seit Oktober 2016: Promotions-Stipendiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Das fotografische Dispositiv”, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
  • 10/2010 bis 09/2013: Masterstudium der Kunstgeschichte (Moderne und Zeitgenössische Kunst) an der Ruhr-Universität Bochum und der Université de Toulouse II – Le Mirail
  • 02/2013 bis 01/2014: Studentische Hilfskraft in den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum
  • 0/2007 bis 07/2010: Bachelorstudium der Kunstwissenschaft und Medienwissenschaften an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Publikationen (Auswahl)

  • „Reflections on the Archive. Reconsidering the Evidence-project (1977-2017)“, in: Caraffa et al. (Hrsg.): Photo-Objects. On the Materiality of Photographs and Photo-Archives in the Humanities and Sciences. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, Erscheinungsdatum unbekannt.
  • „Von Interpreten, Besuchern und anderen Mitspielern. Eine Begegnung mit Tino Sehgals Situationen“, in: Dinkla, Söke (Hrsg.): Sculpture 21st. (erscheint anlässlich der  gleichnamigen Ausstellung im Sommer 2014 im Lehmbruck Museum Duisburg), Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, Erscheinungsdatum unbekannt.
  • „Herbert Hofer: Drawing #1, 2010“, in: Smerling, Walter/ Ullrich, Ferdinand: Public Art Ruhr. Die Metropole Ruhr und die Kunst im öffentlichen Raum. Köln: Wienand, 2012, o.S.
  • „Raimund Kummer: Schwelle, 1987“, in: Smerling, Walter/ Ullrich, Ferdinand: Public Art Ruhr. Die Metropole Ruhr und die Kunst im öffentlichen Raum. Köln: Wienand, 2012, o.S.

Vorträge

  • „Reflections on the Archive. Reconsidering the Evidence-project (1977-2017)“, gehalten am 17.02.2017 im Rahmen         der Konferenz “Photo Objects. On the Materiality of Photographs and Photo-Archives in the Humanities and Sciences” am Kunsthistorischen Institut in Florenz.

Sonstiges

  • Mitglied des Verbands Deutscher Kunsthistoriker
  • Mitglied der AG Fotografieforschung