Paulena Müller, M.A.

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44789 Bochum
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Titel der Dissertation

Queerly Walking Among You: Filmische Alltagsdokumente geschlechtlicher Nonkonformität als prekäre Möglichkeitsräume (AT)

Projektbeschreibung

“We walk among you”: So quittiert eine Trans*Figur in Transamerica (US 2005, R.: D. Tucker) die Irritation, die ihre geschlechtliche Positionierung auf einer Party ausgelöst hat. In dieser kurzen Filmsequenz wird die Alltäglichkeit, die (wortwörtliche) Beiläufigkeit von Trans* zum Widerstandsmoment gegen eine cisnormative Konzeption von Wirklichkeit, in der geschlechtliche Nonkonformität nur außerhalb von ‚gewöhnlichen‘ Sozialstrukturen existiert. Welche Dynamiken von Alltagsleben und geschlechtlicher Nonkonformität (was hier als Arbeitsbegriff Trans* und Inter*Positionen umfasst) lassen sich aber in zeitgenössischen filmischen Darstellungen identifizieren? Von welchen narrativen und ästhetischen Operationen sind filmische Realisierungen von geschlechtlich nonkonformem Alltag abhängig, und wie beeinflussen sie jeweils die Dokumentation geschlechtlich nonkonformer Subjektivität und Intelligibilität? Dieser Frage gehe ich in meinem Promotionsprojekt anhand von Alltagsräumen wie Haushalt, Arbeitsplatz oder öffentlichen Sphären des täglichen Bedarfs nach, die ich als Schauplätze geschlechtlicher Nonkonformität in Dokumentar- und fiktionalen Spielfilmen des 21. Jahrhunderts analysiere.

Die filmische Sichtbarkeit geschlechtlich nonkonformer Seinsweisen ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Dies gilt für etablierte filmindustrielle Kontexte wie für subkulturelle, oft von Inter* und Trans*Personen produzierte und aktivistisch informierte Darstellungen (Ford 2021). Die entstandenen und entstehenden Filmproduktionen stellen gesellschaftspolitisch einflussreiche Dokumente dar, bilden sie doch – als Sichtbarmachungen von marginalisierten Geschlechtspositionen – nicht selten erste oder ausschließliche persönliche Berührungspunkte von Rezipierenden mit diesen Positionen (Cavalcante 2017). Sie weisen damit ein besonderes Potenzial zur „Produktion und Klassifikation ‚menschlicher Tatsachen‘“ (Balke et al. 2020, 8) auf. Normativitätskritische Forschungsansätze zu geschlechtlicher Nonkonformität im zeitgenössischen Film, auf denen mein Projekt maßgeblich aufbaut, bewegen sich vor diesem Hintergrund zwischen einer Problematisierung exzessiver normstabilisierender Darstellungsmuster im filmischen Mainstream, die zweigeschlechtliche Wirklichkeitskonstruktionen beglaubigen, und der Erörterung als Chance zur repräsentativen Herausforderung dieser Strukturen.

Alltäglich konnotierte Kontexte nehmen in diesem Spannungsfeld eine spezifische, bisher wenig beachtete Position ein. Alltagsräume und -situationen stellen oft Exzesse des Gezeigten dar, die filmisch verhandelte Themen hintergründig begleiten, aber nur selten in den narrativen Fokus rücken. Gerade in dieser Hintergründigkeit und ihrem lebensweltlichen Wiedererkennungswert kann ihnen aber eine besondere dokumentarische Autorität zukommen. Die Positionierung geschlechtlich nonkonformer Personen in Haushalt, Arbeitsplatz und öffentlichen Bedarfssphären verhandelt grundlegende Koordinaten von Lebbarkeit und sozialer Intelligibilität – und kann damit auch wirkmächtig zu deren Entzug beitragen. Doch auch das aktive Eintreten geschlechtlich nonkonformer Positionen in Alltagsprozesse ist unweigerlich an bestehende Ordnungsstrukturen geknüpft und bewegt sich damit in einem Spannungsfeld zwischen widerständiger Behauptung von Zugehörigkeit bzw. Agency und notwendiger Anpassung. Vor diesem Hintergrund geht es mir darum, Alltäglichkeit als ambivalentes, aber signifikantes emanzipatives Potenzial geschlechtlich nonkonformer Sichtbarkeit herauszuarbeiten, das nicht aus einer kategorischen Opposition zu, sondern gerade aus einer komplexen Einbindung in normativ geprägte Ordnungsstrukturen erwächst. Dafür stütze ich mich insbesondere auf Konzepte der Dokumentation des Prekären (Deuber-Mankowsky/Hanke 2021), des Cruel Optimism (Berlant 2011) sowie der Disidentifikation (Muñoz 1999). Für ein umfassenderes Verständnis von Alltäglichkeit baut die Arbeit neben einer interdisziplinären Betrachtung von Alltagstheorien und -ästhetiken zudem auf dem Begriff der Infrastruktur als flüchtige, dynamische Bedingungen von sozialer Ordnung und Agency inner- und unterhalb materieller Gegebenheiten auf (freethought collective 2021; Simone 2004). Diese Herausarbeitung von Infrastrukturen geschlechtlich nonkonformer Alltäglichkeit im Film kann nicht zuletzt auch dazu beitragen, Alltag als dokumentarischen Faktor genauer untersuchbar zu machen.

Wissenschaftlicher Werdegang

  • seit Oktober 2022: Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Promotion) am DFG-Graduiertenkolleg „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“, Ruhr-Universität Bochum
  • 11/2020 bis 09/2022: Wissenschaftliche Hilfskraft bei Prof. Dr. Hermann J. Abs in der AG Educational Research and Schooling, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Duisburg-Essen
  • 04/2017 bis 08/2022: Masterstudium der Gender Studies, Ruhr-Universität Bochum
  • 10/2014 bis 08/2022: Masterstudium der Theaterwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
  • 10/2017 bis 09/2020: Wissenschaftliche Hilfskraft am Interdisziplinären Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, Universität Duisburg-Essen
  • 09/2009 bis 09/2014: Studentische Hilfskraft am Zentrum für außerfachliche Qualifikationen und wissenschaftliche Weiterbildung, Technische Hochschule Köln
  • 10/2008 bis 07/2012: Bachelorstudium Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Musikwissenschaft/Sound Studies, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • 10/2009 bis 09/2010: NRW-Stipendium aufgrund besonderer Leistungen im Fach Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften

Publikationen

  • “Natur konstruieren. Szenische Potenziale des Naturbezugs in Strawinskys Le Rossignol” , in: DIE TONKUNST, Jg. 17/Nr. 3, 2023, S. 360-368.
  • mit Eveline Gutzwiller-Helfenfinger, Hermann J. Abs und Kerstin Göbel: „Bringing Together the Discourse on Migration, Integration and Citizenship Education in Times of Radicalization: Introduction“, in: The Challenge of Radicalization and Extremism. Integrating Research on Education and Citizenship in the Context of Migration, hg. v. Eveline Gutzwiller-Helfenfinger, Hermann J. Abs und Kerstin Göbel, Leiden: Brill, 2022, S. 1-14.
  • Trans* und Inter* Studien: Aktuelle Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum, hg. mit Esto Mader, Joris A. Gregor, Robin K. Saalfeld, René_ Rain Hornstein, Marie C. Grasmeier und Toni Schadow, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2021.
  • „Fremdbestimmtes Selbstbestimmungsrecht: Die Stellungnahme ‚Intersexualität‘ des Deutschen Ethikrats als Beispiel für die aktuelle Reproduktion medizinischer Deutungsmacht über Inter*“, in: Trans* und Inter* Studien: Aktuelle Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum, hg. von Esto Mader, Joris A. Gregor, Robin K. Saalfeld, René_Rain Hornstein, Paulena Müller, Marie C. Grasmeier, Toni Schadow, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2022, S. 55-78.
  • mit Esto Mader, Joris A. Gregor, Robin K. Saalfeld, René_ Rain Hornstein, Marie C. Grasmeier, Toni Schadow: „Einleitung“, ebd., S. 7-25.
  • I´m not a nigger, I´m a man. Intricacies of Masculinity and Race in Raoul Peck´s I Am Not Your Negro”, in: Onlinejournal kultur & geschlecht #22, 2019. Online: kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/?p=704.
  • Thematic Papers Based on the Conference „Migration, Social Transformation, and Education for Democratic Citizenship”, hg. mit Eveline Gutzwiller-Helfenfinger und Hermann J. Abs, Duisburg/Essen: DuEPublico, 2019. doi: 10.17185/duepublico/47633.

Vorträge

  • “Trans* ganz privat: Filmische Geschlechterpolitiken des Besuchens”. Ringvorlesung Das Dokumentarische V, Ruhr-Universität Bochum, 11.01.2024.
  • “Begehren nach Geschichte im digitalen Alltag: Queerer Retroaktivismus auf YouTube und Instagram”, gemeinsames Panel mit Nils Meyn. Konferenz Fingerübungen des digitalen Alltags, Universität Hamburg, 27.10.2023.
  • “Screened In, Looking Out: Der Vorhang in Leslie Feinbergs häuslichen Fotografien”, Beitrag im Rahmen des gemeinsamen Panels “Dokumentarische Abhängigkeiten: Filtering & Mapping” mit Franziska Barth, Vesna Schierbaum, Hannah Schmedes und Amelie Wedel (Moderation: Ying Sze Pek / Elisabeth van Treeck). 18. Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft, Universität Bonn, 28.09.2023.
  • Keynote-Vortrag: “Queer Aesthetics/Queere Ästhetiken” mit Henriette Gunkel und zethu Matebeni. Queer und vielfältig: Diversity Day, Ruhr-Universität Bochum, 24.05.2023.
  • „Buchvorstellung Trans* und Inter* Studien. Aktuelle Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum“ mit Esto Mader und Robin K. Saalfeld. 4. Tagung des Inter*Trans*Wissenschaftsnetzwerks, Online, 08.10.2021.
  • „Die Stellungnahme Intersexualität des Deutschen Ethikrats. Strukturelle und sprachliche Prämissen einer ‚unabhängigen‘ Positionierung“. 3. Tagung des Inter*Trans*Wissenschaftsnetzwerks, FSU Jena, 31.08.2019.

Lehrveranstaltungen

  • “AG Study Group: Handlungsfelder der Inter*Studien” (Seminar). Interdisziplinäre und Außerfachliche Kompetenzen für Masterstudien, Universität Innsbruck, SoSe 2024
  • “Gender_Wissen in der Praxis-Tag: Schwerpunkt Forschung und Wissenschaftsmanagement”. Marie Jahoda Center for International Gender Studies, Ruhr-Universität Bochum, SoSe 2023 (Gastvortrag, Veranstaltungsleitung: Maximiliane Brand, M.A.)
  • „Geschlecht(er) und Gesundheit“ (Seminar). FH Dortmund, WiSe 2019/2020 (Gastlehrende, Seminarleitung: Prof. Dr. Gabriele Dennert)

Veranstaltungsorganisation

  • Co-Organisation der internationalen Summer School “Queer Masculinities”, 24.-29. März 2024 in Chintsa, Südafrika. Kooperation der Ruhr-Universität Bochum und dem South Africa Research Chair for Sexuality, Gender and Queer Studies (University of Fort Hare). Leitung: Prof. zethu Matebeni und Prof. Henriette Gunkel, Co-Organisation: Maximiliane Brand, Princess A. Sibanda, Paulena Müller.
  • Arbeitsgruppe „Situiertes Forschen und Schreiben“ mit gleichnamiger Workshopreihe, gemeinsam organisiert mit Rose Beermann, Anne Küper, Katharina Menschick, Hannah Schmedes und Amelie Wedel. Gäste: Prof. Dr. Kathrin Busch, Dr. Isabel Mehl, Oona Lochner. DFG-Graduiertenkolleg “Das Dokumentarische. Exzess und Entzug”, Ruhr-Universität Bochum, seit Sommersemester 2023 (laufend).
  • Mitarbeit bei der Durchführung der IMISCOE Spring Conference 2022: „Shifting rationalities in Migration Policies in Europe?“ (Online-Konferenz)
  • Mitarbeit bei der Durchführung der 4. Tagung des Inter*Trans*Wissenschaftsnetzwerks 2021 (Online-Konferenz)
  • Mitarbeit bei der Organisation und Durchführung der InZentIM-Jahrestagung 2021: „Social Integration of Migrants in Schools – Developing Professional Skills for Bullying Prevention and Positive Social Relationships“ (Online-Konferenz)
  • Mitarbeit bei der Durchführung der InZentIM & AMLI Conference 2019: „Approaches to Migration, Language and Identity: Practices, Ideologies and Policies now and then“ (Universität Duisburg-Essen)
  • Mitarbeit bei der Organisation und Durchführung der 1. Frühjahrstagung des InZentIM-Nachwuchsnetzwerks 2019 (Universität Duisburg-Essen)
  • Mitarbeit bei der Organisation und Durchführung der InZentIM-Jahrestagung 2018: „Migration, Social Transformation, and Education for Democratic Citizenship“ (Universität Duisburg-Essen)

Sonstiges

  • Freie Lektorin für wissenschaftliche, journalistische und politische Texte
  • Mitglied des Inter*Trans*Wissenschaftsnetzwerks (ITW)
  • Mitglied der Fachgesellschaft Geschlechterstudien
  • Mitglied der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)