Lotte Dinse

 (Assoziiertes Mitglied von 10/2016-03/2017)


Titel der Dissertation

Visuelle Repräsentationen des Fremden und Eigenen im Kontext aktueller und historischer kunsttheoretischer und kulturanthropologischer Diskurse. Eine Untersuchung zum Verhältnis von Ethnografie und Kunst am Beispiel ausgewählter Positionen der zeitgenössischen Dokumentarfotografie


Projektbeschreibung

Titel und Konzeption der Forschungsarbeit knüpfen an die verstärkt seit den 1980er Jahren interdisziplinär geführte Diskussion um die Krise der Repräsentation im postkolonialistischen, globalisierten Zeitalter an, die nicht nur eine Annäherung zwischen Kunst und Ethnografie, sondern auch eine verstärkte Hinwendung zu Phänomenen des Fremden in der eigenen Kultur bewirkt hat. Die Frage ist, wie in der gegenwärtigen Kunstproduktion ethnografische und soziologische Methoden angewandt werden, um sich dem als fremd Wahrgenommenen anzunähern und dieses in unterschiedlichen Medien darzustellen.  Anhand ausgewählter künstlerischer Positionen der zeitgenössischen Dokumentarfotografie untersuche ich nicht nur die Wechselbeziehung zwischen dem Fremden und dem Eigenen, sondern auch das Verhältnis der Disziplinen Kunst und Ethnografie im Spannungsfeld aktueller kunsttheoretischer und kulturanthropologischer Diskurse.

Die Hinwendung zur Realität oder die Wiederkehr des Wirklichen im Kunstfeld, die sich vor dem Hintergrund des postkolonialistischen Diskurses verstärkt seit den 1990er Jahren feststellen lässt, hat nicht nur eine Annäherung zwischen Kunst und anderen Disziplinen wie Ethnologie und Soziologie bewirkt, sondern auch eine Aufwertung des Dokumentarischen. Die Ethnologie und die Kunst haben eine ähnlich intensive Phase der Selbstreflexion hinter sich, und zwar nicht nur in Bezug auf ihre Perspektive auf kulturell Fremdes, sondern insbesondere in Bezug auf dessen Darstellung. Sowohl Ethnologie wie auch die Kunst erlebten eine Krise des Dokumentarischen bzw. eine Krise der Repräsentation. Mich interessiert in diesem Zusammenhang die Schnittstelle  zwischen Ethnografie, Kunst und Dokumentarismus.

Insbesondere die Fotografie gilt seit ihrer Erfindung als besonders geeignet, sich mit dem Fremden zu beschäftigen und dessen Besonderheiten wahrheitsgetreu zu vermitteln, da ihr über einen langen Zeitraum hinweg die Fähigkeit zugesprochen wurde, eine authentische Darstellung der Realität zu ermöglichen. Ähnliches gilt für die ethnografische Methode der Feldforschung, die eine objektive Beschreibung des Fremden durch den teilnehmenden Ethnografen gewährleisten sollte. Weder im kulturanthropologischen noch im kunsttheoretischen Diskurs konnte diese Annahme aufrechterhalten werden. Die Vorstellung einer möglichen authentischen Wiedergabe der Realität verweist jedoch darauf, dass beide Disziplinen eindeutig mit dem Dokumentarischen und dem damit verbundenen Wirklichkeitsversprechen affiziert sind.

Das Kernthema der Arbeit zielt daher auf die Frage nach der Repräsentation des Fremden mittels dokumentarischer Gebrauchsweisen der Fotografie. Vor dem Hintergrund der Krise der Repräsentation und der Dekonstruktion des Wirklichkeitsbezugs der Fotografie stellt sich die Frage, wie das Fremde überhaupt glaubhaft dargestellt werden kann. Als Reaktion auf die Krise der Repräsentation wurde gerade künstlerischen Repräsentationsweisen die Fähigkeit attestiert, dem Wesen des Fremden gerecht zu werden, da es eine genuine Eigenschaft der Kunst ist, Wirklichkeit interpretativ und konstruktiv zu erfassen und darzustellen. Diese Prämisse möchte ich anhand ausgewählter Positionen der zeitgenössischen Dokumentarfotografie untersuchen und herausfinden, auf welchen spezifisch künstlerisch-ethnographischen Rhetoriken des Dokumentarischen visuelle Repräsentationen des Fremden in der zeitgenössischen Fotokunst beruhen.


Wissenschaftlicher Werdegang

  • Seit Oktober 2016: Assoziiertes Mitglied (Promotion) am DFG-Graduiertenkolleg „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“, Ruhr-Universität Bochum
  • Seit 05/2016: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Künstlerhaus Schloss Balmoral, Bad Ems
  • 06/2014 bis 05/2016: Kuratorin in der Kestnergesellschaft, Hannover
  • 01/2011 bis 06/2014: Kuratorin in der Galerie im Taxispalais, Innsbruck (Österreich)
  • 10/2003 bis 07/2009: Diplomstudium „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“, Universität Hildesheim
  • 09/2006 bis 06/2007: Visuelle Kommunikation, Universidad Politécnica de Valencia (Spanien)

Publikationen

Ausstellungskataloge

  • Rochelle Feinstein. I Made a Terrible Mistake, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016.
  • Living in the Material World. Materialität in der zeitgenössischen Kunst, Snoeck Verlag, Köln 2014.
  • Zeitsprung, Snoeck Verlag, Köln 2014.
  • Dorothee Golz. Schlafzimmer und andere Versuchsanordnungen, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2014.
  • Der Spiegel des Narziss. Vom mythologischen Halbgott zum Massenphänomen, Snoeck Verlag, Köln 2012.
  • Immer Bunter – Aktuelle Malerei aus Österreich, Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin 2012.
  • Rosell Meseguer, OVNI Archive-Archivo UFO, Genèric, 2012.
  • Vergangenes Begehren. Past Desire, Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin 2011.

Herausgeberschaften

  • Lotte Dinse (Hg.), Nan Goldin. Diving for Pearls, Steidl, Göttingen, 2015.
  • Lotte Dinse (Hg.), FORT. Works, Snoeck Verlag, Köln 2015.
  • Lotte Dinse, Veit Görner (Hg.), Jochen Plogsties. Küsse am Nachmittag, Hirmer Verlag, München 2014.
  • Lotte Dinse, Veit Görner (Hg.), Dana Schutz. Demo, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2014.
  • Lotte Dinse, Beate Ermacora, Jürgen Tabor (Hg.), Fremd & Eigen, Snoeck Verlag, Köln 2013.

Sonstiges

  • Mitglied der International Association of Curators of Contemporary Art (IKT)